Gerade in letzter Zeit ist in den Medien vielfach von Beziehungen „der“ Deutschen zu „den“ Russen die Rede, als ob es den generellen Deutschen oder den generellen Russen gäbe und es sich um feststehende Grössen innerhalb der Völker handelt. Doch dem ist nicht wirklich so, wie auch Blicke auf viele andere Völker zeigen, die alle eines gemeinsam haben, nämlich sich regional unterschiedlich auch an Nachbarvölkern zu orientieren und anhand verschiedener äusserer Einflüsse auch unterschiedlich entwickeln. Die vermeintliche Einheit und Homogenität der Meinung innerhalb eines Volkes ist also nur eine Illusion.
Um speziell einmal die Deutschen näher unter die Lupe zu nehmen, reichte historisch schon zur Römerzeit der Einfluss Roms in etwa bis zur Elbe. Entsprechend bildete sich auch nachher eine gewisse Mentalitätsgrenze, die sich auf eine eher westliche oder östliche Ausrichtung auswirkt – bis heute. Sehr ähnlich gibt es im Osten Deutschlands starke slawische Einflüsse und im Norden skandinavische. Überall spielen also auch Nachbarvölker eine grosse Rolle und nehmen deutlichen Einfluss auch auf die Entwicklung, aber auch auf die Sprache ihrer direkten Nachbarn. So entstehen beispielsweise auch Dialekte, aber auch handwerkliche und künstlerische Einflüsse reichen schon von alters her auch über Grenzen hinaus. Die Entwicklung ganzer Völker ist also vor allem auch durch kulturellen, handwerklichen und wissenschaftlichen Austausch durch Nachbarn, Zu- und Abwanderung geprägt. Man wächst und gedeiht also aneinander.
Aktuell kann man heute auch in der Ukraine deutlich sehen, wo die unterschiedliche Ausrichtung sogar 2014 bis zum Bürgerkrieg führte. Im Westen des Landes ist man eher westlich (Nähe von Polen und Baltikum) orientiert, im Osten eher an Russland, also an den eigenen kulturellen wie auch ethnischen Wurzeln und über tausendjährige Geschichte. Eigentlich sollte man hier den Vorteil erkennen, der durch die hindurch führenden Handelsmöglichkeiten und von beiden (oder mehr) Seiten ins Land fliessende Einflüsse für die eigene Entwicklung bedeuten. Zu Zeiten der des Zarenreichs und der Sowjetunion (auch hier waren die Ukraine, die baltischen Republiken und mehrere weitere Regionen Teil des Zarenreichs bzw. der späteren Sowjetunion) sah man diese Vorteile auch. Seit dem Zerfall des Zarenreichs Russland bzw. der späteren Sowjetunion entwickelte man sich zusehends auseinander. Statt Synergien, traten nicht zuletzt auch durch massive Beeinflussung von aussen Rivalität und sogar offene Abneigung hervor. Man zog die mittlerweile unabhängigen Länder, statt ihre regional unterschiedlichen Einflüsse für Synergien zu nutzen, in einen neuen und komplett einseitigen Einfluss, kappte über viele Jahrhunderte historisch gewachsene Entwicklungen und säte genau dort Feindschaft. Statt eines gemeinsamen Handels über alle Grenzen hinweg entstand eine neue Grenze, über die Handel und Einfluss nunmehr gekappt und bekämpft wurden.
Schaut man sich nun Deutschland seit 1989 an, fällt ebenfalls auf, dass nach der Vereinigung der Westen alles daran setzte, im Osten die Einflüsse der anderen Richtung weitestgehend zu verdrängen und die Menschen dort gerade in den nun vergangenen Jahren als „falsch gepolt“ zu sehen. Eine echte Vereinigung fand hingegen nicht wirklich statt. Ganz im Gegenteil kann man fast sogar schon eine zunehmende Spaltung und Entfremdung beobachten, was nicht einmal von den Menschen an der Basis ausgeht, sondern erschreckenderweise von Regierung und Medien. Diese folgen geradezu einer Ideologie der Ablehnung vieler östlicher Sichtweisen, über die man nicht einmal diskutiert, weil man deren Argumente per se bereits für falsch und bekämpfenswert hält.
Eigentlich sollte es ja Aufgabe der jeweiligen Regierungen sein, Vorteile wie mögliche Synergien zu erkennen und zu fördern, doch weil man den Einfluss aus der eigenen Richtung wirtschaftlich positiv und den der anderen Richtung (als Konkurrenz) negativ sehen will, unterbindet man alles, was diese neue und nicht natürliche Grenze passieren will. Vor allem spielen hier wirtschaftliche Gründe eine tragende Rolle, denn man will Handelspartner oder Kunden nicht mit Anderen teilen. Doch dies ist so nicht immer gewesen, sondern erst seit relativ kurzer Zeit. Hier müsste man sich einmal Gründe und Akteure genau anschauen, um wieder so weit gegensteuern zu können, dass wieder eine win-win-Situation für alle besteht, ohne dass man ganze Länder und Völker gegeneinander ausspielen muss.
Blüht Deutschland über kurz oder lang eine ähnliche Entfremdung wie in der Ukraine?
Die Geschichte hat bereits gezeigt, dass deutsche Länder, die im Westen mit Napoleon verbündet waren, gegen andere deutsche Länder (Preussen und Österreich) auftraten, die mit dem russischen Zarenreich verbündet waren. Wenn man die momentane Entwicklung noch weiter treibt, statt gegenzusteuern und einen neuen und gemeinsamen Kurs zu suchen, könnte man dies über kurz oder lang wohl durchaus befürchten.
Doch dieses und ähnliche Probleme gibt es nicht nur in Deutschland und der Ukraine, sondern weltweit und überall dort, wo entweder frühere Kolonialmächte willkürliche Grenzen gezogen hatten, die entweder Teile von Völkern voneinander trennten oder Teile anderer Völker zwangsweise in ein gemeinsames Gebiet zwangen. Nicht selten entstanden dadurch über kurz oder lang massive Probleme bis hin zu Bürgerkriegen, weil kein Land gern auf Gebiete verzichtet, die es als eigene definiert, gleichzeitig die dort lebenden Menschen eine ander Vorstellung davon haben, in welchem Land sie gern leben würden und in welchem nicht. Vor allem Europa, Asien und Afrika bieten viele solcher Regionen, in denen es auch bereits zu Konflikten gekommen ist oder diese aktuell sogar bereits laufen. Auch Regionen, in denen bereits bewaffnet gekämpft, aber nach „einfrieren“ der Konflikte keine wirkliche Lösung gefunden wurde, schwelen solche Konflikte weiter – bis sie eines Tages wieder aufflammen.
Fazit:
Lösung ist zwar überall möglich, doch sollte man nicht auf Spaltung oder einseitige Einflüsse setzen, sondern auf Synergien und möglichst allseitige Vorteile. Man sollte auch die Wünsche der Menschen selbst (Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein wichtiger Punkt der UNO Charta) berücksichtigen, statt überall auf „territorialer Integrität“ bestehender Staaten zu bestehen und die Teile der eigenen Bevölkerung zu bekämpfen, die etwas anderes möchten als die Regierung.
Hinweis: Der Beitrag stellt eine persönliche Sichtweise dar, der man ganz oder teilweise folgen kann, aber nicht muss. Vielmehr soll der Inhalt zum Nachdenken anregen und hier und da Fragen aufwerfen, an die man vielleicht noch nicht oder wenig gedacht hatte.